Heutzutage lebt die Mehrheit der Deutschen in Städten, in denen das Auto eine zentrale Rolle spielt. Ohne Auto sind viele Orte schwer zu erreichen und Wege erscheinen oft länger als zuvor. Viele Menschen befürchten, dass eine autofreie Innenstadt zu Verkehrsstaus an den Randgebieten führen könnte, was ihren Alltag erheblich erschweren würde. Zudem gibt es die Sorge, dass ältere oder gesundheitlich eingeschränkte Personen durch eine autofreie Innenstadt benachteiligt würden, da sie ohne Auto manche Ziele kaum noch erreichen könnten. [1]
Wenn die Straßen den Menschen gehören
Trotzdem bringt weniger Autoverkehr in der Stadt zahlreiche Vorteile für alle: Die Luftqualität verbessert sich, der Lärmpegel sinkt, die Anzahl an Unfällen geht zurück und durch mehr Bäume sowie Grünflächen wird die Stadt kühler, während weniger versiegelte Flächen wie Asphalt und Beton entstehen. Menschen, die zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind, profitieren von besseren Bedingungen für ihre Fortbewegung. Gleichzeitig kann durch intelligente Planung sichergestellt werden, dass ausreichend Ladezonen, Parkplätze und Fahrbahnen für Lieferverkehre sowie für mobilitätseingeschränkte Personen vorhanden bleiben. Doch dies erfordert neue Ansätze, etwa dass Gewerbetreibende vermehrt auf Lastenräder statt auf Pkw setzen. [2] Beim Entwerfen von autofreien Zonen aber sollte darauf geachtet werden, dass der Verkehr inklusiv gestaltet wird, damit Menschen mit eingeschränkter Mobilität nicht systematisch ausgeschlossen werden. [3]
Autofreie Städte weltweit: Ein Blick auf erfolgreiche Konzepte
Wien
In den letzten Jahren wurden in Wien zahlreiche Straßen im Zuge der Mobilitätswende und des Klimaschutzes umgestaltet. Seit 2020 entstanden viele neue Radwege, unter anderem auf der Praterstraße und in der Donaustadt. In Favoriten wird das erste Supergrätzl (verkehrsberuhigter Stadtbereich) umgesetzt, das den Autoverkehr stark reduziert. Auch größere Straßen wie die äußere Mariahilferstraße und die Wiedner Hauptstraße wurden im Rahmen von Gleisbauarbeiten neu gestaltet. [4] Außerdem realisierte die Stadt Wien auch im September 2018 ein „Pilotprojekt Schulstraße“. Durch das temporäre Kfz-Fahrverbot vor der Schule wurde die Sicherheit der Kinder erheblich gesteigert, das Verkehrsaufkommen im Schulumfeld hat abgenommen und die Zahl der Elterntaxis ist deutlich gesunken. Wegen des Erfolgs wurden im Jahr 2019 drei weitere Schulstraßen in Wien eingerichtet. [5]
Gent
Die belgische Stadt Gent hat ihr Verkehrssystem, beginnend mit April 2017 umfassend reformiert, um Stauprobleme zu verringern. Die Innenstadt wurde in sechs Zonen aufgeteilt, die mit dem Auto nur über die Ringstraße erreichbar sind. Fünf dieser Bereiche sind autofrei und dürfen lediglich mit einer Genehmigung befahren werden. Fußgängerinnen und Fußgänger, Radfahrende, der öffentliche Nahverkehr, Taxis sowie Fahrzeuge des Straßendienstes dürfen die Zonengrenzen weiterhin überqueren. Bereits seit 1997 besteht im historischen Stadtzentrum eine 35 Hektar große Fußgängerzone. 72 Prozent der Bevölkerung befürworten die Ausweitung des autofreien Gebiets. Zwischen 2012 und 2018 ging der Anteil von Autos und Motorrädern am Gesamtverkehr deutlich zurück, während der Radverkehr stark zunahm. Ziel ist es, den Pkw-Anteil bis 2030 auf 27 Prozent zu reduzieren. [6]
Paris
Paris gehört zu den Vorreitern in Europa, wenn es um Verkehrsberuhigung geht. Unter Bürgermeisterin Anne Hidalgo, die seit 2014 im Amt ist, werden öffentliche Räume systematisch zurückgewonnen: Stadtviertel werden am Wochenende für Autos gesperrt, das Radwegenetz wird stark erweitert und das Bikesharing-System „Vélib’“ (Mischung aus „vélo“ (Fahrrad) und „liberté“ (Freiheit)) prägt das Stadtbild. [7]
Mobilitätswende im Rückblick: Von Subventionen zur Realität
Die Politik nutzt Subventionen für sogenannte Zukunftstechnologien, um den Eindruck zu erwecken, dass Verkehrswende und Klimaschutz ohne Verzicht möglich sind und sogar wirtschaftlich profitabel sein können, während die tatsächliche Umsetzung langfristig hinausgeschoben wird. Journalisten lassen sich eher von futuristischen Visionen begeistern als von wiederholten Warnungen, dass unsere Gesellschaft eigentlich zurücksteuern müsste. Ein Rückblick bis in die 1970er Jahren zeigt jedoch, dass viele versprochene Mobilitätsrevolutionen (z. B. Elektromobilität) das Auto kaum ersetzen konnten, wodurch der Glanz solcher Zukunftsvisionen schnell verblasst. [8]
Urbaner Wandel für 2050: So bringen Städte die Verkehrswende voran
Während große Mobilitätsvisionen oft nicht umgesetzt werden, verdeutlichen städtische Initiativen, dass eine klimafreundliche Verkehrswende machbar ist.
Städte bieten aufgrund ihrer Infrastruktur besondere Voraussetzungen für die Umsetzung klimaverträglicher Mobilitätskonzepte. Es ist grundlegend notwendig, den Fokus vom Privatfahrzeug hin zu öffentlich zugänglichen Mobilitätsangeboten sowie zum Gehen und Radfahren zu verschieben. Durch Umgestaltungen des öffentlichen Raums, wie die Schaffung von Begegnungszonen, Wohnstraßen oder Grünflächen, wird die Barrierefreiheit erhöht und damit auch die soziale Gleichberechtigung. Um die Klimaziele für 2050 zu erreichen, können Städte durch einen sogenannten „Climate Action Plan“ selbst aktiv werden. Es stehen viele Maßnahmen zur Auswahl, die in anderen Städten bereits erprobt wurden und für kontextspezifische Lösungen geeignet sind. [9]
Projekt EMILIA- worum es geht
Im Projekt „EMILIA“ (Electric Mobility for Innovative Freight Logistics in Austria) entwickelten 15 Unternehmen gemeinsam mit dem AIT Konzepte (Austrian Institute of Technology) für eine effiziente und klimafreundliche City-Logistik. 2017 wurden diese in Wien, Graz und Perg demonstriert: E-Vans lieferten Waren an Micro-Hubs, von dort erfolgte die Feinverteilung mit E-Transportfahrrädern. Unterstützt wurde das System durch spezielle Routing-Software und optimierte, emissionsfreie Lieferfahrzeuge. Die Demonstration zeigte, dass City-Logistik emissionsfrei, effizient und zuverlässig funktioniert, selbst bei Zustelltouren mit Strecken über 1000 Kilometer. [10]
Autofreie Städte führen oft zu Verkehrsbeschränkungen, zeigen aber gleichzeitig, dass eine lebenswerte und klimafreundliche Stadtgestaltung möglich ist. Aber eine Verkehrsreform gelingt nur, wenn sie auf gesellschaftliche Zustimmung trifft, deshalb ist es wichtig zuerst kleine Maßnahmen wie z. B. autofreie Wochenenden umsetzen, bevor größere Änderungen kommen.
Eine zentrale Rolle kommt dabei der Politik zu, die durch gezielte Fördermaßnahmen und Investitionen – etwa in den öffentlichen Verkehr, die Elektromobilität oder die urbane Logistik – den Wandel aktiv vorantreiben kann.
Autofreie Städte sind dann sinnvoll, wenn sie Teil eines ganzheitlichen Mobilitätskonzepts sind, das soziale, ökologische und wirtschaftliche Aspekte gleichermaßen berücksichtigt.
[1] Schroeder, 2024
[2] Richter-Trummer, 2025
[3] S. 9, Brösel, 2023
[4] Richter-Trummer, 2025
[5] S. 17, VCÖ, 2019
[6] S. 14, VCÖ, 2019
[7] S. 22, VCÖ, 2019
[8] S. 92, Seiss, 2022
[9] S. 15, VCÖ, 2019
[10] s 26, VCÖ, 2019
Quellenverzeichnis:
Brösel, E. (2023). Car-free cities : an investigation of possibilities and stakeholders approaches in the case of Graz, Austria.
Richter-Trummer, T. (2025, May 23). Wer profitiert von weniger Autoverkehr in der Stadt? Wer verliert? Kurier. https://kurier.at/motor/news/wer-profitiert-von-weniger-autoverkehr-in-der-stadt-wer-verliert/403042733 [letzter Zugriff: 17.10.2025]
Schroeder, S. (2024, May 13). Autofreie Innenstadt: Pro und Contra | Freeyou.de. Freeyou. https://freeyou.de/blog/autofreie-innenstadt/ [letzter Zugriff: 15.10.2025]
Seiss, R. (2022). MOBILITÄT Wollen wir wirklich die autofreie Stadt? In Reden Wir über Baukultur (S. 90–95). Jovis Verlag GmbH. https://doi.org/10.1515/9783868598025-013
VCÖ – Mobilität mit Zukunft. (2019). Wie Städte die Mobilitätswende voranbringen. VCÖ
Sonya Shtereva
Das Schreiben begeistert mich, weil es mir die Möglichkeit bietet, komplexe gesellschaftliche und politische Themen greifbar zu machen und unterschiedliche Perspektiven zusammenzuführen. Als Studentin der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft interessiere ich mich besonders für aktuelle Entwicklungen – etwa im Bereich Umwelt, Gesellschaft und Politik – und nutze das Schreiben, um meine Recherchen und Überzeugungen fundiert und reflektiert einzubringen.